Das „Le Thiers“ par Chambriard – mehr als ein Messer: ein treuer Begleiter

Ich gebe zu, bei den Gedanken, die ich mir zum Le Thiers Modell der Schmiede Chambriard gemacht habe in den vergangenen Wochen des Sommers 2016, handelt es sich zum großen Teil um romantische und nostalgische. Wer also seine Messer(-sammel)leidenschaft mit größtmöglicher Rationalität betreibt, wer auf die materiellen Werte schaut, auf Preissteigerungen hofft oder die Schneidwaren als Anlageobjekt betrachtet, der wird zu diesen Zeilen weit weniger Zugang finden. Dieser Zugang zu dem Thema Chambriard ist vermutlich auch naheliegend, handelt es sich bei dem zentralen Modell der Linie doch mit dem „Le Compagnon“ um ein Messer, das schon im Namen trägt, dass es Dein Begleiter, Dein Freund sein will, oder – etymologisch präzise formuliert – derjenige, mit dem Du das Brot teilst. Man beachte den doppelten Sinn in der deutschen Übertragung, handelt es sich doch bei einem Messer um ein Werkzeug, mit dem man Dinge zerteilt…
Im nun Folgenden möchte ich nicht erneut die Hintergründe zur Geschichte des „Le Thiers“ Messers an sich aufrollen. Interessierten sei dazu der Artikel zu Percevals Interpretation dieses Patterns ans Herz gelegt:

ATELIER PERCEVAL LE THIERS

Bei Chambriard, einem seit 1880 im Zentrum von Thiers ansässigen Familienbetriebes, begann die Geschichte der „Le Thiers“ Modelle bereits im Jahre 1998. Neben dem Ladengeschäft, das über 5000 Artikel von 160 Herstellern im Sortiment hat, davon über 100 direkt aus Thiers, existiert auch eine Schmiede, in der eigene Produkte hergestellt werden. Die Brüder Philippe und Dominique Chambriard sind dort für das Handwerkliche verantwortlich und haben sich im Laufe der Zeit einen hervorragenden Ruf in Sachen Qualität und Preis-/Leistungsverhältnis erarbeitet.
Ihr Modell „Le Compagnon“, das Herzstück der Produktion und meines Textes, wurde schnell zum Prototypen des Le Thiers Messertypus im Speziellen und zu einer Ikone französischer Taschenmesser, deren Bekanntheit und Beliebtheit nur von wenigen anderen Modellen erreicht wird. Nicht zuletzt wegen des Namens und der Emotionen, die dieser hervor ruft…
Gehen wir ein paar Jahre zurück. Ich bin in einer Zeit aufgewachsen, in der Robin of Sherwood als Serie im öffentlich rechtlichen Fernsehen lief, samstags abends Bud Spencer & Terrence Hill die Familie erfreuten und sonntags alte Abenteuer- und Piratenfilme liefen. Sie alle hatten etwas gemeinsam: es ging um Zusammenhalt, um Freundschaft und Loyalität. Werte, die mein Denken bis heute prägen. Eine Freundschaft hält im Idealfall ein Leben lang!
Etwa genau so alt etwa ist meine Leidenschaft für den scharfen Stahl. Klar, wer Robin Hood beim Schwertkampf mit Guy von Gisborne bewunderte, Errol Flynn als Freibeuter oder Burt Lancaster als Roten Korsaren fechten sah, wer sich Tom Sawyer und Huckleberry Finn nicht ohne Taschenmesser vorstellen kann, der erfährt eine gewisse Prägung. Die Erinnerungen an diese Zeit, die Bilder im Kopf sind unvergänglich. So unvergänglich wie eine Freundschaft auch sein sollte…
An diesem Punkt betritt es die Bühne: „Le Compagnon“, ein Taschenmesser, auf den ersten Blick ebenso unverkennbar wie ein Laguiole, ein Victorinox, ein Opinel. Stilbildend, beinahe schon eine Ikone, trotz den jungen Alters von gerade mal 18 Lenzen.
Man muss schon zugeben, dass das Compagnon einigen „allgemeingültigen“ Vorgaben folgt: die gewählte Größe ist sicherlich kein Zufall, sondern repräsentiert mit ca. 20,5 Zentimetern die wohl beliebteste Größe bei klassischen (französischen) Taschenmessern. Die Klinge ist etwa 9cm lang, 3mm stark und flach ausgeschliffen. Sie besteht, kaum verwunderlich bei französischen Taschenmessern, aus Sandvik Stahl, in diesem Fall der 13C26 „acier rasoir“, einem sehr rostträgen und pflegeleichtem Stahl, der eine feine Schneide annimmt. Auch in weiteren Details finden wir moderne Fertigung in Verbindung mit klassischen Herstellungsmethoden, wie zum Beispiel die Guillochage, das feine Filework auf der Rückenfeder eines jeden Modells. Bei den Griffmaterialien finden sich die klassischen Griffhölzer ebenso wie das moderne und leichte Carbon. Die Backen aus gebürstetem Edelstahl sind in ihrer leicht diagonalen Form zum Griff hin ebenfalls modern ausgeführt. In Verbindung mit dem ebenfalls eher kantig gestalteten Griffabschluss wirkt dies dann wiederum sehr harmonisch, fast schon kunstvoll. Der sanfte Schwung des Griffes und die Klinge mit dem nahezu geraden Klingenrücken vervollständigen diesen Eindruck. Hier trifft Schönheit auf kühle Kalkulation, und während ein rein nach praktischen Gesichtspunkten hergestelltes Produkt wohl niemals unser Herz anspricht und, umgekehrt, ein rein nach ästhetischen Gesichtspunkten gefertigtes Messer wohl niemals unseren praktischen Ansprüchen gerecht würde, schaffen die Le Thiers Modelle der Firma Chambriard diesen Spagat in Perfektion. Ich würde sogar sagen, es schafft die Vereinigung von Gegensätzen, nämlich robust und gleichzeitig elegant, modern und gleichzeitig klassisch.
An diesem Punkt kann man den Machern schon zu einem ganz großen Wurf gratulieren. Selbst mit einem sperrigen Namen würde sich ein solches Messer verkaufen, keine Frage! Das Sahnehäubchen in meinen Augen folgte dann durch die Taufe auf den Namen „Le Compagnon“, der Gefährte, der Kamerad, der Begleiter. Es trägt diesen Namen mit Stolz und der festen Überzeugung, dieser Rolle gerecht zu werden. Ebenso stolz trägt es das Herkunftszeichen, das stilisierte „T“ auf der Fliege, dem vorderen Ende der Rückenfeder. Dieses kleine Messerchen weiß einfach, dass es dieser Rolle gerecht werden kann, egal wie hoch die Ansprüche des Trägers an einen Gefährten, einen Freund sein würden…
Meiner Meinung nach tut es dies auch zurecht! Das Le Compagnon von Chambriard ist all das, was man von einem Taschenmesser erwarten kann, bietet den bestmöglichen Kompromiss aus Größe, Gewicht, Material und Preis, liefert durch den dünn ausgeschliffenen Flachschliff eine wirklich tolle Perfomance und zeigt dabei keinerlei Schwächen. Mit diesem Messer würde ich gerne abends nach einer zünftigen Rauferei mit den Schergen des Sheriffs am Lagerfeuer mein Essen schneiden, würde im Gras am Ufer des Mississippi sitzen, den Raddampfern nachschauen und ein Pfeifchen schnitzen. Ich würde beinahe so weit gehen zu behaupten, dass man für die aufgerufene Summe kaum ein besseres Messer aus den Schmieden Frankreichs findet.
Natürlich war es auch der große Erfolg des Compagnon, der dafür sorgte, dass in der Folge weitere Modelle die Palette erweiterten. Nennenswert sind in diesem Zusammenhang vor allem das „Le Compact“, das mit etwa 16,5cm Gesamtlänge bei 7cm Klingenlänge und gerade mal 50g Gewicht einen perfekten Begleiter für die Anzugtasche, aber auch für die Damen darstellt. Das Compagnon wiegt im Vergleich mit 90g beinahe das Doppelte des Compact, und abgesehen von Größe und Gewicht sind sie in Design, Aufbau und Verarbeitung identisch.
Es gibt zusätzlich zu dem kleineren Modell auch noch ein deutlich wuchtigeres Messer, das auf den Namen „Le Trappeur“, also Trapper oder Fallensteller hört. Der Griff des Trappeur ist höher, dicker und länger als beim Compagnon, was einen deutlich festeren Griff zulässt. Das Messer zeigt direkt, dass es für härtere Arbeiten konzipiert wurde, nämlich als Jagd- und Outdoormesser. Die Klinge ist ebenfalls höher, jedoch nur unwesentlich länger als beim Compagnon. Somit ist die Silhouette des Trappeur auch deutlich wuchtiger. Statt einer Rückenfeder haben wir hier auch eine Klinge, die über einen Backlock sicher und absolut spielfrei verriegelt. Dieser entriegelt über einen Drücker mit einem doppelten floralen Motiv. Ein letzter Unterschied ist, dass die Griffschalen des Trappeur im Gegensatz zu Compagnon und Compact verschraubt statt vernietet sind.
Ein Messer mit allen Eigenschaften meines geliebten Compagnon, das den Namen „Trapper“ oder „Fallensteller“ trägt…? Unweigerlich schweife ich ab und denke an James Fenimore Cooper, den „Wildtöter“, an „Lederstrumpf“ und „Der letzte Mohikaner“, ich denke an Henry David Thoreaus „Walden“, an weite Wälder in Nordamerika und Kanada, an Blockhütten und Bergseen, an Kanus und Lagerfeuer und merke, dass das Konzept voll auf geht! Félicitations, meine Freunde bei Chambriard! Ihr habt mich an der Angel!
Eine gute Nachricht für die Weinfreunde gibt es selbstverständlich auch: die Modelle Compagnon und Trappeur gibt es als Variation ebenfalls als sogenannte „Grand Cru“ Modelle mit Korkenzieher. Für mich ist das heute absolut unwichtig, denn wir trinken den Wein aus den Fässern, die für die Feier am Hofe Prinz Johns gedacht waren. Zu dumm, dass der Wagen ausgerechnet durch den Sherwood Forest musste…
Was soll ich nun abschließend schreiben? Die „Le Thiers par Chambriard“ sind absolut gelungene Taschenmesser mit nahezu tadelloser Verarbeitung zu einem sehr moderaten Preis. Ich habe mich damals für die Variante in Kohlefaser entschieden, weil die Schmiede zum einen außergewöhnlich schönes Material verbaut, aber andererseits die Verbindung aus Tradition und Moderne bei keinem Modell so deutlich wird wie bei diesem. Versuche ich, mein Herz zu ignorieren, das immer wieder Verbindungen herzustellen versucht zu Literatur, Film und Erinnerungen aus der Kindheit, dann bleibt, nüchtern betrachtet, das fast perfekte Taschenmesser, ein Begleiter fürs Leben, oder aber, wie oben formuliert, der Idealzustand einer „Freundschaft“.
Text: Andreas Thiel, Review auf yt: Coutellerie Chambriard Le Thiers Compagnon
Bilder: Claudia Rudi, Andi Thiel
Anmerkung: der Autor und freie Schriftsteller Andreas Thiel ist Messerliebhaber und -sammler und veröffentlicht regelmäßig auf seinem You Tube Channel „Andi1878“ interessante Reviews